Direkt zum Inhalt

Der Effekt der Überrechtfertigung im Game Design

Posted in Psychologie im Game Design, and Was ist eigentlich?

Bei dem Effekt der Überrechtfertigung im Game Design passiert genau das, was eigentlich auf keinen Fall passieren soll: Der Game Designer motiviert den User über Belohnungen und letztendlich ist der Spielende unmotivierter als noch zu Beginn. Doch wie und warum passiert das eigentlich?

Der Effekt der Überrechtfertigung – Oder was ist das eigentlich?

Über den Effekt der Überrechtfertigung im Game Design spreche ich tatsächlich sehr oft bei meinen Projekten. Insbesondere bei Serious Games oder Gamification Projekten. Kurz gesagt ist der Effekt der Überrechtfertigung das was eintritt, wenn man Menschen für etwas, dass sie eigentlich eh schon total gerne machen, mit externen Verstärkern noch oben drauf belohnt. Also wenn man beispielsweise ein Kind, was eigentlich eh schon gerne für die Schule lernt, anfängt für gute Noten zu bezahlen. Als Laie könnte man jetzt ja eigentlich meinen: „Viel hilft viel, immer drauf, wird schon helfen.“ Funfact: Des is aber net so…

Denn tatsächlich passiert in dem oben genannten Beispiel dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nämlich folgendes: Das Kind schreibt zwar erstmal noch bessere Noten. Aber langfristig werden seine Noten dann immer schlechter. Und zwar so sehr, dass sie am Ende schlechter als zu Anfang sind. Man erreicht also mit der Aktion tatsächlich ganz genau das Gegenteil von dem, was man erreichen wollte. Und das nachhaltig und auf Dauer. Ziemlich blöd also.

Der Effekt der Überrechtfertigung im Game Design

Der Effekt der Überrechtfertigung spielt im Game Design demzufolge natürlich auch eine große Rolle. Denn bei der Entwicklung von Spielen geht es tatsächlich direkt oder indirekt immer irgendwie um die Motivation der Spieler. Man will sie dazu motivieren, das Tutorial zu beenden. Oder man will sie motivieren noch mehr Stunden zu spielen. Oder sie sollen sich einer eigentlich echt quälenden Herausforderung stellen. Man will auf jeden Fall, dass sie das eigene Spiel gerne und motiviert und auch möglichst oft spielen. Und allzu gerne werden dafür dann Belohnungen eingesetzt. Oft in Form von Punkten, Badges und Leaderboards.

Nicht ohne Grund sind die sogenannten PBL-Ansätze, wie sie häufig mit gefährlichem Halbwissen bei Gamification Projekten eingesetzt werden, unter echten Game Designern eher verschrien. Klar, die funktionieren schon irgendwie. Erstmal. Aber langfristig motiviert man mit diesen Holzhammer Methoden halt niemanden. Und der Grund dafür ist eben: Der Effekt der Überrechtfertigung.

Was beim Effekt der Überrechtfertigung passiert

Lasst mich mal erklären, wie das funktioniert: Der Effekt der Überrechtfertigung wird vor allem in der Sozialpsychologie erforscht. Nach einigen Beobachtungsstudien konnte der Effekt in zahlreichen Labor- und Feldexperimenten experimentell reproduziert werden.1zum Beispiel David Greene, Betty Sternberg und Mark Lepper (1976) Aber was passiert dabei genau?

Eine Person, egal ob Kind oder Erwachsener, ist zu irgendeiner Tätigkeit intrinsisch motiviert. Das heißt sie will eine bestimmte Tätigkeit ausführen, einfach, weil sie ihr Spaß macht. Oder weil sie diese anderweitig irgendwie interessant findet. Auf jeden Fall nicht, weil sie in irgendeiner Weise belohnt oder unter Druck gesetzt wird.

Nehmen wir also mal an, ein Vorschul-Kind liebt es einfach, Buchstaben zu schreiben. Nicht weil ihm seine Eltern sagen, dass sie das toll finden. Und nicht weil es dafür irgendwas kriegt. Es bereitet ihm einfach Freude mit dem Stift in der Hand an seinem kleinen Tisch abends, wenn alles ruhig geworden ist Buchstaben zu malen. (Ja, es gibt so Kinder. Mein Großer ist so eins 😉 )

Das Drama beginnt 😉

Jetzt stellt euch vor, es käme jemand daher und verspricht ihm für jede vollgeschriebene Seite ein Gummibärchen. Oder wie das so gern in Vorschulheften gemacht wird: Das Kind darf pro voller Seite immer einen besonders hübschen Sticker auf die Seite kleben. Und dann passiert folgendes: Das Kind wird zusätzlich zu seiner ohnehin schon vorhandenen intrinsischen Motivation über einen externen Verstärker – die Gummibärchen oder Punkte oder Sticker – zusätzlich noch extrinsisch motiviert.

Nun ist Extrinsische Motivation das Gegenteil von Intrinsischer Motivation. Es ist die Motivation die aus externen Verstärkern resultiert. Jemand ist also extrinsisch motiviert, wenn er sich eine Belohnung für eine Tätigkeit verspricht oder wenn er irgendwie unter Druck gesetzt wird. Und extrinsische Motivation ist mächtig. So mächtig dass sie es tatsächlich schafft, das Kind noch zusätzlich zu motivieren. Das Kind wird also vielleicht die nächsten Abende noch mehr Seiten mit Buchstaben voll schreiben, als es das ohnehin schon getan hätte. So läuft das einige Abende. Oder wie das so schön in meinem Sozialpsychologie Buch formuliert wird:

Niemand bezweifelt, dass Belohnung eine gute Motivation darstellt und das Verhalten verändern kann. Es sind vielmehr die Veränderungen, die in den Köpfen der Menschen vor sich gehen, die dabei übersehen werden.

Sozialpsychologie von Aronson, Wilson, Akert, Pearson Studium Psychologie, 2004, S.166

Die langfristige Veränderung im Kopf

Und das ist es eben. An diesen Abenden, wo das Kind für die Gummibärchen schreibt, verändert sich etwas im Kopf des Kindes. Die extrinsische Motivation überschreibt in gewisser Weise die Intrinsische und löscht sie so nach und nach aus. Und das ist ein Problem. Denn extrinsische Motivation ist zwar mächtig. Aber sie ist absolut NICHTS gegen intrinsische Motivation. Während Intrinsische Motivation über Jahre anhalten und sogar noch immer weiter wachsen kann – wie passionierte Hobbyisten sehr gut beweisen – ist extrinsische Motivation dummerweise eigentlich nie wirklich von Dauer. Extrinsische Motivation durch externe Verstärker ist wie ein Strohfeuer, mit dem man kurzzeitig effektiv Motivation erzeugen kann, die aber nicht langfristig anhält.

Extrinsische Motivation durch externe Verstärker ist wie ein Strohfeuer, mit dem man kurzzeitig effektiv Motivation erzeugen kann, die aber nicht langfristig anhält. Share on X

So ebbt die extrinsische Motivation ab und die Leistung wird wieder schlechter. Und dann passiert das eigentlich wirklich fatale: Von der anfänglichen intrinsischen Motivation ist jetzt leider auch nichts mehr übrig. Also wird die Leistung immer schlechter und schlechter. Bis sie am Ende schlechter ist als zu Beginn, als mit der ganzen Belohnerei begonnen wurde.

Wenn der Drops gelutscht ist

In unserem Beispiel hat das Kind zu diesem Zeitpunkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits komplett die eigene Lust am Buchstaben schreiben verloren. Und vermutlich gibt es jetzt sogar die geliebte Tätigkeit auf. Und das nun auch, wenn noch mehr Gummibärchen oder wegen mir ein rosa fliegendes Glitzer-Pony versprochen wird. Die Eskalation der Belohnung entfacht vielleicht noch mal ein Strohfeuer an Motivation. Aber der Drops ist eigentlich schon längst gelutscht. Die intrinsische Motivation ist futsch. Und die extrinsische Motivation wird sich irgendwann verbrauchen. Daran führt kein Weg vorbei.

Und ob es nicht schon schlimm genug wäre, hält dieser Effekt leider oft auch sehr nachhaltig an. Es kann also sehr gut sein, dass wenn das Kind dann einige Zeit später in die Schule kommt, es sich dann immer noch denkt: Warum sollte ich Buchstaben schreiben, ich bekomme ja nichts dafür. Denn Spaß macht es dann schon leider nicht mehr. Und das macht auch die Tragweite klar, die schlecht entwickelte Serious Games und Gamification Ansätze besonders für Kinder haben können!

Don’t try this at home!

Und das liebe Kinder ist der Grund, warum man keine halbgaren Belohnungskonzepte einführen sollte, wenn man davon eigentlich gar keine Ahnung hat. Und weswegen es absolut FATAL ist, wenn Lehrer ihre Schüler mit irgendwelchen Punkte-, Sticker oder sonstigen Belohnungssystemen versuchen zu motivieren. Auch wenn ihnen dafür vielleicht die Kompetenz und Erfahrung im Game Design und der Sozialpsychologie fehlt.

Und da heute schon ganz schön lang geworden ist, erzähle ich euch im nächsten Teil der Serie, wie man den Effekt der Überrechtfertigung vermeidet und trotzdem nicht auf externe Verstärker wie Belohnungsysteme verzichten muss.

Das war: Der erste Teil der Reihe •Psychologie im Game Design

2 Comments

  1. Das ist genau das, was wir an unserer Rollenspiel/ Spielschule Østerskov im Unterricht erleben. Noch eine Perle motiviert eben nicht noch mehr. Gut geschrieben Myriel 👍

    22. Juli 2022
    |Reply
    • Myriel Balzer
      Myriel Balzer

      Danke Iris <3 🙂

      22. Juli 2022
      |Reply

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert